Hendrik Otremba und Stephan Schröder (C) Monique Lütgens

Hendrik Otremba – Rückblick

Hen­drik Otrem­ba war mit sei­nem drit­ten Roman Beni­to zu Gast in sei­ner Geburts­stadt Reck­ling­hau­sen. Am 26. Janu­ar 2023 fan­den die Lesung und das Gespräch mit Ste­phan Schrö­der (Vor­sit­zen­der der NLGR) in der Stadt­bi­blio­thek statt.

Infor­ma­ti­on des März Ver­la­ges zu dem Buch:
„Das eige­ne Erin­nern befra­gend, wirft Hen­drik Otrem­ba uns mit die­sem Roman in die Gro­tes­ken der Gegen­wart, an die Gren­ze zwi­schen Wahn und Wirklichkeit.“

Hendrik Otremba, Stephan Schröder (NLGR) (C) Monique Lütgens
Hen­drik Otrem­ba, Ste­phan Schrö­der (NLGR) © Moni­que Lütgens

„Doch, ich muss mit der Anrei­se begin­nen. Dort schon hat es begon­nen, oder nicht begon­nen, viel­mehr: sich fort­ge­setzt, dort jeden­falls ist etwas wie­der auf­ge­kom­men, um mich her­um auf­ge­zo­gen, eine dunk­le Aura, oder pas­sen­der: ein schwar­zer Nebel.
Etwas, das, mir unsicht­bar, immer dage­we­sen sein mag, sich aber nun erst offen­bart, schlei­chend und unausweichlich.“

Das ist der Anfang des ers­ten Kapi­tels des Romans, in dem er geschickt die Zeit­ebe­nen und Rea­li­tät und Fik­ti­on ver­bin­det.
Die Fluss­fahrt, die er sel­ber erlebt (erlit­ten?) hat, war in der Rea­li­tät 1998, sein Fahr­ten­na­me damals Har­le­kin.
Im Roman geht die Pfad­fin­der­grup­pe 1995 auf eine drei­wö­chi­ge Kanu­fahrt. Alle tra­gen klin­gen­de Namen, wie Kip­pe, Maus und Flie­gen­tö­ter. Den Anfüh­rer, ein paar Jah­re älter als sie, nen­nen sie Häupt­ling.
Die zwei­te Erzähl­ebe­ne, über 30 Jah­re spä­ter, spielt erstaun­li­cher­wei­se in naher Zukunft, im Jahr 2026.

In bei­den Ebe­nen fol­gen wir haupt­säch­lich dem Erzäh­ler Che­ru­bim, der ein bekann­ter Schrift­stel­ler gewor­den ist, bei­de Ebe­nen unter­schei­den sich sprach­lich deut­lich von­ein­an­der.
Ohne zu sehr zu spoi­lern, der Autor erzähl­te es selbst in Andeu­tun­gen, bleibt es nicht so gemüt­lich und harm­los. Es gesche­hen – sehr span­nend beschrie­ben – schreck­li­che Din­ge, damals und auch jetzt (2026).
Wie im Bon­ner Hotel Para­dies vom blin­den Beni­to (inzwi­schen ein fata­lis­ti­scher Pro­phet und apo­ka­lyp­ti­scher Seher), ein Anschlag ver­übt wird, des­sen Ver­fol­gung im Gebäu­de – und gleich­zei­tig über einen Fern­seh­sen­der auf der gan­zen Welt im Inter­net – gese­hen wer­den kann, ist geni­al beschrie­ben und an Dra­ma­tik kaum zu über­tref­fen.
In sie­ben Kapi­teln lässt uns Otrem­ba zwi­schen den Gescheh­nis­sen wechseln.

Sehr geschickt fin­de ich die Schwär­zung der bekann­ten Per­sön­lich­kei­ten, die vor­kom­men; auf die­se Wei­se sind sie gewis­ser­ma­ßen anonym, aber doch zu erken­nen (zu erah­nen?).
Das für Reck­ling­hau­sen Beson­de­re sind die vie­len ein­ge­scho­be­nen Sze­nen, die hier in die­ser Stadt spie­len. Auf der Suche nach sei­ner eige­nen Ver­gan­gen­heit beglei­ten wir den Autor, der eigent­lich kei­nen Lokal­ro­man schrei­ben woll­te, und den Namen der Stadt im Buch nicht erwähnt, an uns sofort bekann­te Stellen.

Da sind etwa das Süd­bad oder der Stadt­teil Hoch­lar­mark, in dem Otrem­bas Oma einen Laden betrie­ben hat­te. Das Rat­haus und der Besuch mit dem Vater auf der Trab­renn­bahn, das ehe­ma­li­ge Kino „Capi­tol“ hin­ter dem Haupt­bahn­hof und die Besu­che mit der Fami­lie in der Gast­stät­te „Auer­bachs Kel­ler“ las­sen Reck­ling­häu­ser Her­zen (weh­mü­tig?) höherschlagen.

Ein beson­de­rer Genuss für das Publi­kum war die Lesung einer Buch­stel­le über die Wan­de­rung von Reck­ling­hau­sen nach Glad­beck. Detail­ver­liebt und sehr poe­tisch geschrie­ben, folg­ten die Zuhö­rer in die­se ver­trau­te Umge­bung, was zu der Idee aus dem Publi­kum führ­te, die­sen Weg ein­mal gemein­sam zu erwandern.

Otrem­ba spart nicht mit Per­sön­li­chem: Er schreibt auch über die Tren­nung sei­ner Eltern, den Tod des Vaters und die Bezie­hung zu sei­nem jün­ge­ren Bru­der. Gewid­met hat er „Beni­to“ sei­ner Mut­ter. Sie war bei die­ser Lesung zu Gast, und auch eini­ge ande­re Freun­de aus der Zeit der Kind­heits­er­zäh­lung. Sogar der „Häupt­ling“ war da, höchst lebendig.

Bes­tens gelaunt plau­der­te Hen­drik Otrem­ba im gut besuch­ten Saal (40 Besu­cher) mit Ste­phan Schrö­der über sei­ne Arbeits­wei­se, wie sich Ideen ent­wi­ckeln, wie die Dyna­mik des Pro­zes­ses nie­mals still­steht und unru­hig macht.
Ein­drucks­voll war vor allem zu hören, wie die bei­den zunächst ein­zeln geschrie­ben Strän­ge durch eine ret­ten­de Idee:
„Ich habe die Zeit­ebe­nen in gleich gro­ße Tei­le auf­ge­teilt und inein­an­der kip­pen las­sen,“
zusam­men­ka­men. Dadurch fan­den sie zu einem glück­li­chen Miteinander.

Heute am Büchertisch: Claudia (C) Claudia
Heu­te am Bücher­tisch: Clau­dia © Claudia

Zur Per­son:
Hen­drik Otrem­ba, gebo­ren 1984 in Reck­ling­hau­sen, ist ein Mul­ti­ta­lent. Er ist Schrift­stel­ler, bil­den­der Künst­ler und Sän­ger der Grup­pe Mes­ser (mit die­ser Grup­pe hat er bis­her fünf Alben ver­öf­fent­licht), außer­dem arbei­tet er als Dozent für krea­ti­ves Schrei­ben und gele­gent­lich als Kura­tor.
2017 ist sein Debüt­ro­man Über uns der Schaum (Ver­bre­cher Ver­lag) erschie­nen, im August 2019 folg­te sein zwei­ter Roman Kachel­bads Erbe (Hoff­mann und Cam­pe). Und nun hat der März Ver­lag (Ber­lin) sein drit­tes Buch Beni­to verlegt.

In Reck­ling­hau­sen besuch­te Otrem­ba die Gud­run-Pau­se­wang-Grund­schu­le und das Theo­dor-Heuss-Gym­na­si­um. In sei­ner Jugend war er frei­er Mit­ar­bei­ter der Reck­ling­häu­ser Zei­tung.
Er stu­dier­te Ger­ma­nis­tik und Medi­en­wis­sen­schaf­ten in Bochum, und ab 2008 Kul­tur­poe­tik in Müns­ter. Seit 2016 lebt er mit sei­ner Part­ne­rin und der drei­jäh­ri­gen Toch­ter in Berlin.

Moni­ka Wischnowski

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