Ein „fulminantes Erinnerungswerk“ nannte Frank-Walter Steinmeier bei der Verleihung des Georg-Büchner-Preises den Roman von Emine Sevgi Özdamar, der nach einer langen schriftstellerischen Vakanz 2021 erschienen ist.
In ihrem Roman, Ein von Schatten begrenzter Raum, lässt die Autorin ihr Leben Revue passieren: beginnend mit der Flucht aus der vom Militär regierten Türkei nach Deutschland, nach Berlin und später nach Frankreich. Er erzählt nicht nur ihre eigene Lebensgeschichte, sondern zeichnet das Bild eines friedlichen Europas der 70er und 80er Jahre.
Sie kommt nach Berlin, die Stadt ihres geliebten Bertolt Brecht, aber auch die Stadt, die sie „Draculas Grabmal“ nennt. Ihr Weg führt zum Theater, zur Volksbühne nach Berlin-Ost. Sie trifft die Regisseure Matthias Langhoff und Benno Besson – Letzterer nimmt sie mit nach Paris, wo er sie in die Planung der Aufführung des „Kaukasischen Kreidekreises“ von Brecht einbezieht.
Ohne Arbeitserlaubnis, ohne Wohnung und ohne Kenntnis des Französischen erlebt sie Paris von ganz unten, ganz wörtlich, indem sie mit der Metro die Stadt erkundet. Hilfe und Unterkunft erfährt sie von ihrer griechischen Freundin Efterpi, bei der sie zeitweise unterkommt und die sie wegen ihrer Schönheit „Kiki de Montparnasse“ nennt (nach einer Fotografie von Man Ray). Sie lernt die Sprache, macht Bekanntschaften mit Literaten, Künstlern, Intellektuellen, sie trifft Jean Paul Sartre, den Sohn von Nazim Hikmet, schwärmt von Edith Piaf; sie studiert an der Pariser Universität VIII und erarbeitet sich das Diplom „Maitrise de Theatre“.
Benno Besson plant mit ihr den „Kaukasischen Kreidekreis“ für das Festival in Avignon als neue, eigenständige Inszenierung. Er sagt: „Du musst mich kontrollieren. […] Sei mein Schatten, kontrolliere mich als mein Schatten.“ (S.126) Sie entwirft mit einfachsten Mitteln dazu Figurinen und Kostüme, ein Szenenbild.
Von 1979 bis 1984 arbeitet sie als Schauspielerin und Regieassistentin am Schauspielhaus Bochum unter Claus Peymann. 1986 spielt sie unter der Regie von Karl Kneidl, ihrem jetzigen Mann und Bühnenbildner, die Mae Garga in Brechts „Im Dickicht der Städte“ an der Freien Volksbühne in Ostberlin. In letzter Zeit trat sie auch in Filmen auf: in ‚Happy Birthday, Türke‘ (nach dem Roman von Jakob Arjouni unter der Regie von Doris Dörrie) sowie 1988 in ‚Yasemin‘ unter Hark Bohm.
Ihr Leben zwischen den Kulturen habe sie in einem typischen „Özdamar-Sound, einer Mischung aus nüchterner Dokumentation und Magie“ geschildert, schreibt Ursula März in der ZEIT. „Wenn man von seinem eigenen Land einmal weggegangen ist, dann kommt man in keinem neuen Land mehr an. Dann werden nur manche besonderen Menschen dein Land“.
Es ist ein großes Glück und eine Auszeichnung, dass Özdamar, die bereits 1993 einmal als Gast in der Altstadtschmiede aufgetreten ist, Zeit gefunden hat, in Recklinghausen zu lesen.
Kartenreservierungen online sind ab sofort auf www.nlgr.de möglich, der Kartenverkauf in den Recklinghäuser Buchhandlungen beginnt am 14.2.2023.