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Shida Bazyar: Drei Kameradinnen
Dienstag, 12. Oktober 2021/19:30
15,00€Shida Bazyar: Drei Kameradinnen
Fünf Jahre nach dem großen Erfolg von „Nachts ist es leise in Teheran“ ist im April 2021 der zweite große Roman von Shida Bazyar, „Drei Kameradinnen“, erschienen. Der Titel spielt auf den Roman von Erich Maria Remarque („Drei Kameraden“) an und soll sozusagen das weibliche Gegenstück dazu darstellen.
Damit ist auch schon die Thematik angerissen. Es geht um Sexismus und Rassismus.

Es ist die Geschichte von drei jungen Frauen mit einem sogenannten „Migrationshintergrund“. Sie sind Deutsche mit perfekter Sprache, Abitur und Studium und suchen ihre Position, ihren Ort, in der bundesrepublikanischen Gesellschaft der Gegenwart. Aufgewachsen sind die drei Freun-dinnen Hani, Kasih und Saya in der „Siedlung“ am Rande einer nicht näher bezeichneten Stadt (Berlin?) unter sozial schwierigen Bedingungen – die Siedlung verslumt und wird verkehrstechnisch abgehängt – und haben sich mit Intelligenz und Fleiß ihr Abitur und Studium erarbeitet. Aber sie erlebten und erleben immer noch und immer wieder im täglichen Leben und im Internet Demütigungen der unterschiedlichsten Art, zum Teil subtil, zum Teil aber auch sehr direkt: Ausgrenzungen, Beschimpfungen, Bedrohungen bis zum Terror.
Ausgangs- und Endpunkt des Romans ist ein „Jahrhundertbrand“ mit vielen Toten aus Flüchtlingskreisen in einem Mehrfamilienhaus, der nach einem Zeitungsbericht angeblich von der Hauptakteurin Saya als islamistischer Racheakt gelegt sein soll. Ob das so gewesen ist, oder ob nicht ein Nazi, mit dem sich Saya auseinandergesetzt hat, der Täter war, bleibt ungeklärt.
Die zweite Kameradin, Kasih, ist gleichzeitig die Ich-Erzählerin, die die Vergangenheit der drei und die Gegenwart schildert, immer wieder in Rückblenden auf ihr gemeinsames Leben. Und sie ist eine Erzählerin, die sich immer wieder direkt an die Leser*innen von heute wendet und ihr eigenes Verhalten und Schreiben zum Teil zynisch kommentiert. Sie lässt oft einfach offen, ob sie die erlebte Realität schreibt oder nicht: „…denn lügen und recht haben, das schließt sich nicht aus…“ Das macht etwas mit dem Leser: Er vergleicht das Geschilderte mit seinem eigenen Erfahrungshintergrund und fragt sich, ob das sein kann oder nicht. Da kommt dann viel Selbsterlebtes hoch, das man vielleicht doch gar nicht als so rassistisch und fremdenfeindlich eingeordnet hätte, das man aber aus der Perspektive der betroffenen Menschen nun anders betrachten muss. Diese Situationen sind mit einem hochsensiblen und detaillierten Sprachrepertoire beschrieben; man glaubt dabei zu sein, z. B. in der Tram, wenn ein ausländischer Vater seine beiden kleinen Töchter im Stehen schützend an sich schmiegt, einen angebotenen Sitzplatz aus ängstlicher Scheu ablehnt und zwei junge Frauen rücksichtslos den Kindern ihre Rucksäcke ins Gesicht drücken. Saya schaltet sich dann immer lautstark ein, um diese Rücksichtslosigkeiten anzuprangern.
Die dritte Kameradin, Hani, ist die Stillere der drei, die unverzichtbare „Seele“ in einem Betrieb der Tierschutzorganisation, die ihre deutsche Chefin bei weitem an Fähigkeiten übertrifft, aber sich nicht so richtig traut, das offenkundig zu machen.
Wenn die Kameradinnen zusammen sind, erinnern sie sich an wichtige gemeinsame Stationen ihrer Kindheit und Jugend, feiern und trinken und rauchen und tanzen und lieben ausgelassen wie alle ihre Altersgenossinnen auch. Aber immer ist da im Hintergrund einschüchternd und bestimmend die Gesellschaft der Menschen mit der weißen Hautfarbe, die letztlich über Liebesverhältnisse und Wohnungen und Jobs entscheidet. Und da wird die Sprache der Erzählerin auch sehr drastisch und deutlich, sodass wir unsere ach so vertraut und gerecht erscheinende Gegenwart mit anderen Augen zu sehen genötigt werden.
Ein starker Roman: radikal und kompromisslos!
Die Autorin wurde 1988 in Hermeskeil geboren, studierte Literarisches Schreiben in Hildesheim und bekam 2018 den Ulla-Hahn-Preis in Monheim und den Uwe-Johnson-Förderpreis. Sie war bereits zweimal als Gast der NLGR in Recklinghausen, zuletzt im Oktober letzten Jahres im Festspielhaus zusammen mit Kübra Gümüsay. Sie ist als Bloggerin und kundige Gesprächspartnerin sehr gefragt.
Eine Veranstaltung im Rahmen der „Lesebühne“ – eine Zusammenarbeit vom Institut für Kulturarbeit/Stadt Recklinghausen, Stadtbibliothek Recklinghausen und NLGR.
Vorverkauf: Attatroll Buchladen, RZ-Ticket-Center, www.kultur-kommt-ticket.de, Online-Reservierung: www://nlgr.de/kartenreservierung/
Für die Teilnahme benötigen Sie einen Nachweis Geimpft, Genesen oder Getestet (nicht älter als 48 Stunden).